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Hoimar von Ditfurth, stammt aus einem national-konservativen Elternhaus. Er erinnert sich an einen Vorfall in der Schule im Jahre 1928.

 

Es verging längere Zeit, bevor ich überhaupt darauf gestoßen wurde, daß es außerhalb der Welt, in der ich aufwuchs, noch eine andere Welt gab. Eine Welt mit Menschen, die, obwohl auch sie Deutsche waren, die Dinge auf eine sehr irritierende Weise anders sahen. Ein Erlebnis während des Schulunterrichts gab den Anstoß. Ein Lehrer, den wir sehr mochten - schon deshalb, weil er nicht, wie sein weniger geschätzter Kollege, ständig mit dem schlagbereiten Rohrstock durch die Bankreihen lief -. hatte uns die Aufgabe gestellt, eine Burg zu malen und deren Turm »mit der deutschen Fahne« zu schmücken. Es muß im zweiten Volksschuljahr gewesen sein, denn wir machten uns mit Buntstiften an die Arbeit (und nicht, wie während des ersten Jahres, mit Griffeln auf unseren Schiefertafeln).

Als ich das Ergebnis nicht ohne Stolz und in der sicheren Erwartung auf ein Lob vorwies, wurde zu meiner größten Überraschung meine Fahne kritisiert. Das sei nicht die deutsche Fahne, behauptete der Lehrer. Dabei hatte ich doch nach bestem Wissen und Gewissen eine schwarzweißrote Fahne auf den Turm meiner Burg gepflanzt. Die deutschen Farben seien aber »Schwarz-Rot-Gold«, ob ich das denn nicht wüßte. Ich wußte es nicht. Zwar war mir nicht verborgen geblieben, daß an manchen Tagen vor der Kaserne, am Rathaus und sogar aus den Fenstern einiger Privathäuser gelegentlich Fahnen in den von meinem Lehrer genannten Farben hingen. Das war aber, soweit ich das zu Hause mitbekommen hatte, nur die Fahne »der Republik«, beileibe nicht die des Vaterlandes. Und die republikanischen Farben wurden, wenn Überhaupt, nur als »Schwarz-Rot-Mostrich« zitiert, wobei das Wort »Mostrich« mit erkennbarer Verachtung auszusprechen war. Als mich der Lehrer behutsam aufzuklären versuchte, kamen wir gleich noch zu einem zweiten kritischen Punkt - ganz unvermeidlich bei der Natur des Geländes, das wir da unversehens betreten hatten. In Wirklichkeit, nämlich militärisch gesehen, hätten wir den Krieg doch überhaupt nicht verloren, erwähnte ich. Das war für den Mann denn doch zuviel. Aber auf dem Bückeburger Gefallenendenkmal, an dem wir so oft der schönsten Militärmusik zuhören durften, stand doch auch: »Im Felde unbesiegt!« Wir hätten den Krieg verloren, beharrte der Lehrer kopfschüttelnd, und einige Klassenkameraden pflichteten ihm sogar noch bei. Es waren alles Kinder, mit denen ich noch nie gespielt hatte.

Einigermaßen konsterniert, brachte ich die Angelegenheit zu Hause zur Sprache. Dort fiel es den für mich maßgeblichen Autoritäten glücklicherweise nicht schwer, mein für den Augenblick doch etwas ins Wanken geratene Weltbild alsbald wieder zu stabilisieren. Bei dem Lehrer, um dessen geradezu unerhörte Äußerungen es ging, handele es sich um einen »Sozi«, erfuhr ich als erstes. (In Bückeburg wußte jeder über jeden Bescheid.) Damit war in den Augen meiner Angehörigen im Grunde schon alles gesagt. Denn die »Roten« - und zu diesem »Gesindel« gehörten eben auch die Sozialdemokraten - waren es ja gewesen, die -1918 die Revolution angezettelt hatten, mit der man unseren tief in Feindesland kämpfenden Armeen feige in den Rücken gefallen war. Die »Roten« waren es gewesen, die den Kaiser aus dem Lande getrieben, die Republik eingeführt und das »Schanddiktat von Versailles« unterschrieben hatten. Und rote »Verzichtspolitiker« biederten sich jetzt bei »unseren Feinden« mit unpatriotischen Zugeständnissen an in dem würdelosen Versuch, durch die Preisgabe nationaler Interessen »um gut Wetter zu bitten«.

(...)

Meine Großmutter und die Eltern, Tante Margret Wedel und Tante Lene, Onkel Hans in Dankersen und Onkel Wilhelm in Lemmie (den beiden einzigen Gütern, die noch in Familienbesitz waren), Tante Elisabeth oder Onkel Gerhard, der als aktiver Offizier im benachbarten Minden diente und mir zum Geburtstag ein Jahresabonnement der fesselnden Zeitschrift »Kriegskunst in Wort und Bild« schenkte, und wie sie noch hießen, alle jene, die in dieser Phase meiner Kindheit um mich waren: sie alle waren Menschen mit gutem Herzen und ausgezeichneten Manieren. Sie gingen an jedem Sonntag in die Kirche und versuchten aufrichtig, nach Gottes Geboten zu leben. Sie waren freundlich zu mir und bemühten sich nach Kräften, mich für die Welt so gut zu erziehen, wie es ihnen nur möglich war. Die Welt aber, die sie dabei im Sinn hatten, war nicht die reale Welt. Sie alle lebten in einer schwarzweißroten Wahnwelt. Niemand von ihnen wußte das. Bewohner von Wahnwelten wissen das nie. Sie alle sind sich ihrer Sache stets völlig sicher, denn sie teilen alle die gleichen Vorurteile. Ich konnte es auch nicht wissen, denn ihrer aller Übereinstimmung ließ keinerlei Raum für irgendwelche Zweifel. In dieser Atmosphäre bereitete sich der Nährboden vor für die kommenden Katastrophen, in aller Öffentlichkeit und dennoch von den meisten unbemerkt.

Hoimar v. Ditfurth, Innenansichten eines Artgenossen, Meine Bilanz, (Claassen) Düsseldorf 1989, S. 54 bis 57 (aus dem Kapitel „Schwarz-Rot-Mostrich“)

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