Friedrichs seelische und soziale
Entwicklung:
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Thesen
zu seiner Entwicklung:
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Geburt:
Friedrich ist das Produkt einer Vergewaltigung und folglich von seiner
Mutter ungewollt. Er hatte von Anfang an keine Chance auf eine gesunde
Entwicklung, da es ihm an Liebe und Zuwendung fehlte. (S.7,
Z.14: " ...denn Margreth soll sehr geweint haben, als man ihr das
Kind reichte... er ward unter einem Herzen voll Gram getragen...") |
Kindheit: In seiner
Kindheit darf Friedrich niemals Gefühle zulassen. Als er z.B. beim Tod
des Vaters schreit, bekommt er eine Ohrfeige. Diese Gefühlskälte und
Gewalt gibt er später an andere weiter. So wird er an der Hochzeit
gedemütigt, versucht dies allerdings gleich mit einem Juchheschrei zu
überspielen. (S.36 Z.6) |
Jugend:
Durch Einsatz seiner Fäuste gelangt er zu Ansehen in der Dorfjugend und
achtet immer mehr auf sein äußeres Erscheinungsbild. Andererseits bleibt
er der zerlumpte, verträumte Hirtenbube, womit er immer wieder Spott auf
sich zieht. (siehe oben:"... das allgemeine
Gelächter schnitt ihm durch die Seele; ob er sich gleich durch einen
tapferen Juchheschrei wieder in den Gang zu bringen suchte...") |
Friedrich und sein
Vater: Der Vater ist Alkoholiker und lässt seinen Frust oft
durch Gewalt an seiner Familie aus. Durch den frühen Tod des Vaters wird
schließlich Oheim Simon sein Vorbild und Ernährer. Dieser hat einen
schlechten Einfluss auf Friedrich, da er keinerlei Moral und Skrupel
besitzt.(S.10"...überhaupt hatte die Erinnerung
an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm
zurückgelassen...") |
Friedrich und seine
Mutter: Friedrich genießt eine sehr einseitige Erziehung durch
seine Mutter. Auf der einen Seite bemüht sie sich, dass er ordentlich und
brav wird, auf der anderen Seite lässt sie ihm viel zu viele Freiheiten.
Sie überträgt ihre eigene Einstellung zu Verbrechen auf Friedrich, wie
z.B. ihre Abneigung gegen Juden und ihre gleichgültige Sichtweise
gegenüber dem Holzfrevel. Somit kann Friedrich kein Unrechtsbewusstsein
entwickeln. |
Friedrich und die
Juden: Schon früh wird Friedrich vor allem durch seine
Mutter zur Abneigung gegen die Juden erzogen. Ihm wird vorgelebt, dass Juden gemeine
Verbrecher sind. (S.10: "Die Juden sind alle
Schelme...") Aus Angst vor weiteren Demütigungen wegen
einer unbezahlten Uhr, führt dies schließlich auch zum gewissenlosen
Mord am Juden Aaron. |
Friedrichs Auftreten:
In seiner Außenseiterrolle entwickelt Friedrich ein äußerst schwaches
Selbstbewusstsein, weil er sich in der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen
fühlt. Deshalb spiegelt er aus Unsicherheit immer das wieder, was die
anderen in ihm sehen. Das zeigt sich vor allem, wenn er gedemütigt wird,
da er dann auf einmal die Fassung verliert. (siehe
Hochzeit) |
Friedrich und Johannes:
Durch die unumstrittene Ähnlichkeit und die Tatsache, dass Johannes
einsam ist, entsteht zwischen den beiden eine enge Bindung, wobei
Friedrich die Führerrolle übernimmt. In dem hörigen Johannes spiegeln
sich Friedrichs negative Charakterzüge, wie Unsicherheit und das
Außenseiterdasein, wieder. In Johannes Fehlverhalten, fühlt sich
Friedrich in seinem eigenen Stolz gekränkt, was er durch Aggressionen an
Johannes auslässt. (Siehe oben: “Lumpenhund!”
rief er; ein paar derbe Maulschellen trafen den geduldigen Schützling...") |
Friedrichs
Rückkehr: Nach vielen Jahren der Sklaverei kehrt
Friedrich als gebrochener, alter Mann ins Dorf zurück. Er gibt sich als
Johannes aus, aus Angst nach so vielen Jahren noch als Judenmörder
entlarvt zu werden. Somit verschmelzen Friedrich und Johannes zu einer
Person und Friedrich bleibt unerkannt bis zu seinem Tod. Jedoch hält
seine eigentlich schwache Persönlichkeit dem seelischen Druck einen Mord
begangen zu haben nicht stand und er erhängt sich schließlich an der
Judenbuche, deren hebräische Aufschrift lautet: (S.
54 Z. 15:"Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen,
wie du mir getan hast.") |
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Kontext:
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Zentrale Textstelle: |
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Bei einer im
Dorf stattfindenden Hochzeit, die ein sehr spektakuläres Ereignis für
alle Dorfbewohner darstellte, ist auch Friedrich anwesend. Dieser hatte
sich inzwischen von einem träumerischen und zurückhaltenden Jungen zu
einem stolzen, eitlen und allgemein anerkannten Eleganten entwickelt. So
steht er auch auf der Hochzeit im Mittelpunkt des Geschehens und genießt
dies sichtlich. Auf einmal erhebt sich ein lautes Geschrei, und es stellt
sich heraus, dass Johannes, Friedrichs Schatten, einen Mundraub begangen
hat. Dieses bedeutet für Friedrich eine extreme Bloßstellung und er muss
schnell handeln...
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S.35,
Z.38:
Aber
Friedrich trat vor:
“Lumpenhund!”
rief er; ein paar derbe Maulschellen trafen den geduldigen Schützling;
dann stieß er ihn an die Tür und gab ihm einen tüchtigen Fußtritt mit
auf den Weg.
...Er
kehrte niedergeschlagen zurück; seine Würde war verletzt, das allgemeine
Gelächter schnitt ihm durch die Seele; ob er sich gleich durch einen
tapferen Juchheschrei wieder in den Gang zu bringen suchte - es wollte
nicht mehr recht gehen. Er war im Begriff, sich wieder hinter die Bassviole
zu flüchten; doch zuvor noch einen Knalleffekt: er zog seine silberne
Taschenuhr hervor, zu jener Zeit ein seltener und kostbarer Schmuck..."
Quelle:
Die Judenbuche |
...Durch
diesen Knalleffekt versucht Friedrich seine Unsicherheit und aufgestaute
Aggression zu überspielen. Jedoch macht ihm der Jude Aaron einen Strich
durch die Rechnung, indem er das für die Uhr geliehene Geld
zurückfordert. Zutiefst gedemütigt ergreift Friedrich die Flucht
und ein gewaltiger Hass keimt in ihm auf, der ihn später auch zum Mord am
Juden veranlasst, nach welchem er das Heimatdorf verlässt. Nach vielen
Jahren härtester Sklaverei, kehrt er schließlich mit der Identität von
Johannes zurück und erhängt sich schließlich selbst an der für den
Juden gewidmete "Judenbuche".
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Kreativer Text: |
Ein
(fiktiver) Gast auf der Hochzeit schildert seine Eindrücke von Friedrichs
Demütigung. |
“Lumpenhund!”
rief er; ein paar derbe Maulschellen trafen den geduldigen Schützling;
dann stieß er ihn an die Tür und gab ihm einen tüchtigen Fußtritt mit
auf den Weg.
Ich hatte mich mit meiner Frau und meinen zwei Kindern
schon am frühen Morgen auf den Weg nach B. gemacht, um bei dieser
Hochzeit dabei zu sein. Ich unternahm nur selten solche langen Reisen,
weil mein Beruf als Arzt mich voll in Anspruch nahm.
Ohne Zweifel war die Hochzeit das Ereignis
des Jahres und das ganze Dorf war anwesend. Der
hitzige, junge Mann war mir schon den ganzen Abend aufgefallen, doch jetzt
lag in seinen Augen der pure Hass und eine Verzweiflung, die nicht zu
übersehen war. Der Mann stand drohend über einem Jüngling, der
sein Ebenbild zu sein schien. Dieser hatte sich inmitten eines
Menschenkreises auf den Boden geworfen und hob seine Hände schützend
über sich. Die Menschen veranstalteten einen unglaublichen Krach, aus dem
ich Worte wie "Butterdieb" vernahm. Bald stellte sich heraus,
dass Johannes, der schwächere Mann, Butter gestohlen hatte und Friedrich,
sein überall bekannter Beschützer, von diesem Ereignis mehr als peinlich berührt
war. Man sah ihm deutlich an, dass er durch das Geschehene selbst betroffener
war als Johannes.
Dies versuchte er allerdings durch Gewalt an Johannes zu
überspielen. So schlug er den Hilflosen zum Beispiel brutal ins G esicht,
um ihn dann links liegen zu lassen und schritt mit gedemütigtem Blick
durch die johlende Menge. Sein wutverzerrtes
Gesicht zeigte, wie sehr er von der Meinung anderer abhängig war. Ich
glaubte schon, er würde sich auf einen der Umstehenden stürzen, doch
nein, er flüchtete sich hinter die Bassvioline. Zuvor jedoch, versuchte
er die Menge durch einen kläglichen Juchheschrei glauben zu lassen, dass
ihm das Ereignis gar nichts ausmache und er zückte seine silberne
Taschenuhr, ein sehr wertvolles und seltenes Exemplar zu dieser Zeit. Doch
es gelang ihm nicht, seine Unsicherheit zu vertuschen, denn plötzlich
tauchte der Jude Aaron auf und verlangte in aller Öffentlichkeit das von
ihm für die Uhr geliehene Geld zurück. Diesen weiteren Schlag gegen
seine Persönlichkeit konnte Friedrich sichtlich nicht mehr verkraften.
Während die Menge in tosendes Gelächter ausbrach, floh Friedrich mit
hochrotem Kopf und es war ihm anzusehen, dass er dies dem Juden niemals
vergessen würde. Die
Hochzeit verlief ohne weitere derartige Vorfälle, aber trotzdem ging mir
dieser sonderbare Junge Friedrich nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder
sah ich die Wut und Verzweiflung, die sich in seinem Gesicht offenbart
hatte. Mir schien, dass er
kaum Selbstbewusstsein besaß, um diese Ereignisse einfach so
wegzustecken. Auch musste seine Armut ein großes Problem für ihn
darstellen, dass er durch Wertgegenstände wie seine Uhr den Eindruck von
Wohlstand erwecken wollte. Je mehr Gedanken ich mir darüber machte, desto
mehr tat mir der arme Junge leid. Ich fragte mich, wie seine Kindheit wohl
ausgesehen haben musste, dass er derartig auf die Meinung anderer
angewiesen war und nur durch Gewalt mit seinen Problemen fertig werden
konnte. Auch mit seinem Schützling Johannes schien es etwas Sonderbares
auf sich zu haben, ja schien er alle schlechten Eigenschaften Friedrichs
zu verkörpern. Kein Wunder, dass er so aggressiv auf dessen Verhalten
reagiert hatte. Ich war mir sicher, dass dies nicht das letzte Mal war,
dass man über diesen Jungen sprechen würde.
Bildquelle: A.v.Droste-Hüllshoff, Judenbuche,
Peter Bekes und Werner Bockholt, Schroedel Verlag GmbH Hannover 2001
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