Michael Seeger Rezensionen

Autor

Sunil Amrith

Brennende Erde

aus dem Englischen von Annabel Zettel

C.H. Beck München 2025; ISBN: 978-3-406; 505 S. 34,00 €

gelesen im August 2025

cover

„Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet,
der letzte Fisch gefangen ist,
werdet ihr merken,
dass man Geld nicht essen kann.“

Häuptling Seattle zugeschrieben

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Larmoyanter Kulturpessimismus eines Öko-Romantikers

Mit der als Motto angeführten "Weissagung der Cree" ist das Buch eigentlich schon zusammengefasst. Dennoch will ich die indianische Fundamentalkritik um einige Beobachtungen ergänzen.

Von Dschigis Khan über Kolumbus, die Stroganows, die Sklavenhändler, die Eisenbahnpioniere, den argentinischen Indianermetzler Roca, die Betreiber der Chicagoer Schlachthöfe bis in die Gegenwart des menschengemachten Klimawandels wird die Geschichte der Menschheit als ein zerstörerischer Angriff auf und gegen die Natur in Kombination mit der Ausbeutung durch die privilegierten Klassen zur Profitmaximierung der Mächtigen und Reichen anklagend beschrieben.

Diese Tatbestände kennen wir aus umfangreicher Lektüre und eigenem Erleben. Wir waren als Teilnehmer der großen Vietnam- und Friedensdemonstrationen 1973 und 1982, als Händchenhalter der Menschenkette Stuttgart-Ulm, als Mitbefeuerer der Fridays-for-future-Bewegung Teil der weltweiten Proteste gegen die von Amrith beklagten zerstörerischen Tendenzen. Wir haben eine Photovoltaikanlage installiert und sind leidenschaftliche Radfahrer. Insofern müsste uns sein Buch wie ein öliger Gewürztraminer die Kehle runter fließen. Das Gegenteil ist aber der Fall. Warum? top

Erstens nervt der anklagende moralisierende Ton, der sich auch mit lyrisch-dystopischen Metaphern schmückt:

"Die Energie des 19. Jahrhunderts kam aus der Verbrennung einstmal lebender Materie. Industrielle Flammen verschlangen die zermalmten Reste uralter Wälder und all des Lebens, das sie einmal in sich getragen hatten. (...) Sie verschlangen uraltes Leben, das zu einer Gesteinsform geworden war, die wir Kohle nennen. (S. 129f)

Die Eisenbahnen ordneten Landschaften neu, durch die sie sich frästen. (...) Dieser Wahn erreichte Asien (...) 1853 .... (S. 143). Die Eisenbahn (...) trieb einen erneuten Angriff auf die Natur voran." (S. 147)

Solche Verdikte muss ich lesen an einem Tag, an dem die SZ (14.08.2025) mir vom Kampf des Calwer Landrates berichtet. Der will die Reaktivierung einer stillgelegten Eisenbahntrasse (Calw - Weil der Stadt, 24 km) als Hermann-Hesse-Bahn vorantreiben, wird aber wohl an der Mausohr-Fledermaus scheitern.
Ich muss das lesen in einer Woche, in der klar wurde, dass der Rückgang des innerdeutschen Flugverkehrs auch auf bessere Bahnverbindungen (trotz der notorischen Verspätungen) zurückzuführen ist.

Zweitens stört der unter den Erzählungen liegende Subtext, aus dem man das Ideal des Yale-Professors schließen kann. Das muss der Garten Eden sein. Denn seit der Vertreibung aus dem Paradies musste sich die Menschheit die "Erde untertan" machen, um existieren zu können. Amrith beklagt jeden Baum, der zur Kultivierung der Landschaft gerodet wurde. Weiß er nicht, dass überall, wo heute ca. 9 Milliarden Menschen siedeln, früher Urwald war. Was ist sein Ideal? Sollten wir besser noch auf den Bäumen leben? top

Drittens thematisiert Amrith nicht die im Menschheitsprozess liegende Aporie. Als überzeugter Veganer müsste er die seit der neolithischen Revolution sich ausbreitende Tendenz des Getreideanbaus eigentlich loben. Stattdessen sieht er den Weizenanbau in den Amerikas und Europa sowie den Reisanbau in Asien eher als Skandal. Er durchschneide die Landschaft auf ähnliche ("unmenschliche") Weise wie die Eisenbahn.

Viertens geht Amrith auf mein Hauptproblem gar nicht ein: die Überbevölkerung des Planeten und die dahinter liegenden Triebkräfte. Hier trifft er sich mit Pinker, der dieses Problem auch ignoriert, bzw. wegdebattiert.

Fünftens sind die im Epilog "Wege zur Wiederherstellung" (S. 431ff) gemachten Lösungsansätze allzu naiv. Da werden als Kronzeugen einer besseren Welt die 6-jährige Tochter und der 9-jährige Sohn aufgeführt. Ja, auch mein 3-jähriger Sohn hat in den 80-ern geklagt: "Gell, Papa, Pulverturm ist blöd." Amrith stellt, kurz bevor er den Silberstreif am Horizont (Kinder an die Macht?) sieht, noch richtigerweise fest:

"Werden Tausende kleiner Reparaturmaßnahmen ausreichen, um die kumulative Wirkung des Klimawandels ... abzumildern? Vermutlich nicht. (S. 425)

Diese realistische Einschätzung hindert ihn nicht daran, die Rettung in kleinen Aktionen zu sehen wie jener von 150 indigenen Frauen in Indonesien gegen einen Marmorsteinbruch. Sie waren bewaffnet mit Handwebstühlen und sangen Loblieder auf die Geister des Berges (S. 435). Auch die Pachamama wird von Amrith in den Zeugenstand gerufen, nachdem sie Einzug in die ecuadorianische Verfassung gefunden hat. Den Gipfel des Rettungsszenarios stellt das von ihm hochgelobte Computerspiel "Terra Nil" dar, bei dem ökologische Wiederherstellung belohnt wird. (S. 438)

So also stellt sich Amrith die Rettung des Planeten vor.

Das alles muss ich lesen an einem Tag, an dem in Genf eine UNO-Konferenz zum Plastikmüll an ökonomischen Interessen gescheitert ist.

Danke, da halte ich mich lieber weiter an Pinker!

Michael Seeger, 15.08.2025 top

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