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Ilija Trojanow:

Der Weltensammler

© Hanser München 2006, hier: dtv 13581 München 2007

528 S., 10,00 €

ISBN: 978-3423-13581-8

gelesen März 2024

 

 

Autor

Ein spannendes Leben - langweilig erzählt

Der britische Offizier Richard Francis Burton (1821-1890) führte ein abenteuerliches Leben, das auf jeden Fall eine Biographie verdient, von mir aus auch einen Roman. Der von Trojanow kann aber leider die Erwartungen nicht einlösen. Das liegt am Stil: Man liest zwei Seiten und weiß schon nicht mehr, was man eben gelesen hat. Das erste Buch "Britisch-Indien" habe ich bereits 2008 gelesen, auch weil der Autor mir bei der Buchmesse in Buenos Aires das Buch persönlich gewidmet hatte. Bei der Re-Lektüre kommt keinerlei Erinnerung auf. Als Leser werde ich nicht gefesselt vom Abenteuer des Helden, der sich mehrfach verwandelt hat, 20 Sprachen erlernte, zum Islam konvertierte (inclusive Beschneidung; vgl. S. 193), klandestin an der Haddsch teilnahm, von Sansibar aus eine Expedition zur Entdeckung des Tanganjika-Sees leitete. Der Charakter des eigenwilligen jungen Offiziers bekommt keine Konturen, der Roman evoziert keine Empathie. Er ist mehr Deskription als Narratio, entsprechend über weite Passagen im (von mir nicht geliebten) Präsens verfasst. Die Fülle für uns Europäer unbekannter kultureller Begriffe erschlägt; da hilft auch das sechseitige Glossar kaum weiter.

Wenn in den kurzen Kapiteln die Lebensbeschreibung Burtons mal gerade Fahrt aufnimmt, wird diese jäh unterbrochen durch langatmige redundante Kapitel, in denen Wegbegleiter oder autoritative Instanzen (Kadi etc) das Wirken Burtons aus anderer Perspektive bewerten. Dies geschieht dialogisch. Man weiß allerdings häufig nicht, wer da gerade spricht. Das gilt auch für die vielgestaltigen Erzählerstimmen.

Am Ende einer langen Lektüre hat man viel Zeit damit verbracht, nimmt aber nur wenig mit. Mir ist auch zu viel religiöser Diskurs in dem Buch.

"Hinduismus ist passé, mon cher ami, ich wende mich nun dem Islam zu." (S. 126)

Was ich allen Kultur-Imperialisten anraten möchte, ist Burtons Devise:

"Dieser Burton hingegen wollte die Fremde sich selbst überlassen, weil die Verbesserung der Fremde ihre Auslöschung bedeuten würde." (S. 131)

Er geht einen Schritt weiter, eignet sich die Fremde an und verändert/verliert damit seine Identität.

Ich behalte meine Identität und erkenne, dass ich aus europäischer Literatur den größten Gewinn ziehe, wenn ich dieses "TUA RES AGITUR" verspüre.

Michael Seeger, 03. April 2024

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