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Autor

 

Jean Paul

Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal

Eine Art Idylle (1790)

in: Jean Pauls Werke in zwei Bänden, Erster Band. Bibliothek deutscher Klassiker

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1987

ISBN: 3-351-00490-7, S. 113 - 160; 47 S., gelesen März 2023

Mit kindlichem Gemüt immer das Fröhliche gesucht

Unsere Lesegewohnheiten haben sich weit von den Klassikern entfernt.

In so düsteren Zeiten wie den unseren müsste das heitere Gemüt des Helden uns eigentlich erfreuen, vielleicht sogar erlösen. Findet das Schulmeisterlein (Er wird gar schon als Sekundaner zum Dorfschullehrer!) doch in jedem Schmetterling, jedem Vogelgezwitscher, jeder Blume, jedem Abendhimmel und selbst im Würmlein ein ganzes Himmelsglück. Dieses Dorfglück ist dann wohl die von Jean Paul angekündigte "Art Idylle".

Schon in der Kindheit ist Wutz damit begabt, seine (handschriftlichen) Texte quasi als Nachdichtungen der Großen zu inszenieren, indem er sein eigenes Leben "hineingeflochten" hat, "so wie alle großen Skribenten ihren Lebenslauf, ihre Weiber, Kinder, Äcker, Vieh in ihre opera stricken." (S. 139)

Neben seiner Schul-, Kantor- und Lehrerkarriere erwacht Wutz zum wirklichen Leben aber erst durch die Liebe, besser: das Verliebtsein in die fast noch kindliche Justine. Dem Karnevals-Verliebungs-Tanz, der Verlobungszeit und dem Hochzeitstag widmet der Autor - immer mit (romantischer?) Ironie - sein besonderes Augenmerk:

"Warum ließ der Himmel gerade in der Jugend das Lustrum der Liebe fallen? Vielleicht weil man gerade da in Alumneen, Schreibstuben und anderen Gifthütten keucht, da steigt die Liebe wie aufblühendes Gesträuch an den Fenstern jener Marterkammern empor und zeigt in schwankenden Schatten den großen Frühling von außen." (S. 127)

Man sieht verwundert in solchen Passagen einen "super-auktorialen" Ich-Erzähler, der den Helden empathisch mit ironischer Distanz begleitet und dabei allerlei Sentenzen bereithält.

"Heute ist's besser, wir sehen den vergnügten Wutz zum letztenmal lebend und tot und gehen dann weg." (S. 150)

Weg sind auch wir gegangen, sehr weit weg von Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts (vgl. Hölderlin, Balzac). Ihre Prosa mit der verschachtelten Syntax, gespickt mit - heute veralteten (Fremd)Wörtern, vorherrschendem Konjunktiv und schwer auszumachenden Subjekten ist uns mit heutiger Lesegewohnheit an den Rand des Lesbaren, vor allem des Genießbaren gelangt. Wer kennt noch Wörter wie "Alumneum, vozieren, papillotieren, Haarchignon, Sylphide, Sponsalien, mazerieren"? Amüsiert hat mich, wie bei der Vorbereitung der Braut für die Hochzeit das Jungfernhäutchen personifiziert wird, wie da "der Schneider dem Hymen neue Hosen und Gilet und Rock anprobierte." (S 145)

Michael Seeger, 07. März 2023 top

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