Nr. 1 /1. Jahrgang S. 13/14

Online-Sonderausgabe Montag, 21. Januar 1636

€ 2,50    

 

Anna Fierling packt aus 

Interview mit der bekannten Mutter Courage

Geboren: am 12. Juni 1584 in Bayern 
Beruf: fliegende Händlerin 
Spezialitäten: glasklarer Realitätssinn mit Kunden handeln , ihre Kinder durchbringen 
Familie: ledig, eine Tochter Kattrin und die zwei Söhne Eilif und Schweizerkas

Marketenderin und Mutter in einer Person, Mutter Courage, eine zielstrebige Geschäftsfrau, sitzt mit der Redakteurin Isabel Respondek am Tisch und spricht über den Krieg, ihre Kinder und ihren bekannten Branntwein.

I. R.: Guten Tag, Frau Fierling, oder darf ich Sie „Courage“ nennen? 
Anna Fierling: Courage, wenn’s Ihnen recht ist. 
Woher kommt denn dieser ungewöhnliche Name?
Anna Fierling: Den hat mir einst ein junger Soldat, im Zweiten Finnischen Regiment gegeben, als ich über das Schlachtfeld von Riga mit meinem Wagen gefahren bin. Er sagte damals, dass man wirklich viel Courage haben muss, sich das zu trauen. Und zusätzlich drei Kinder im Wagen! Sagen Sie mal, wie sind Sie aufgewachsen?
In einem kleinen Dorf in Ostbayern
Bei ihren Eltern?
Ja, bis ich zwanzig war, hab ich denen bei ihrem Bauernhof geholfen. Sie haben sich nie bedankt, die Leut. Waren so undankbar für die ganze Arbeit, die ich gemacht habe. 
Sind Sie dann von zu Hause weg? Und wohin?
Ich bin mit meinem Schätzchen abgehauen und wir haben uns wandernden Leuten angeschlossen. Bis der Krieg losging, hatten wir noch keine Probleme und uns gings allen gut. 
Was halten sie vom Krieg?
Anfänglich wars noch gut und wir hatten alles, doch später, als der verfluchte Krieg zu uns kam, hats angefangen mit der Not. Zum Glück hatte ich da schon meinen Wagen, aber die Kattrin war schon unterwegs... später bin ich durch alle Kriegsgeschehnisse gefahren. Überall meine Waren angepriesen. Meine Kunden waren nicht immer die Nettesten, aber verdient hab ich mir mein Brot schon, um auch meine Kinder durch die Winter zu bringen. 
Wie viele Kinder haben sie?
Drei Stück, aber keinen passenden Mann dazu. Die sind alle zu nichts zu gebrauchen. Wenns an die Arbeit geht, hauen die alle ab. Männer, was für komische Wesen... 
Beschreiben Sie mal ihre Kinder.
Also, da gibt’s die Kattrin, die schon früh nicht mehr sprechen konnte. Ein Soldat hat ihr etwas in den Mund gestopft. Armes Ding, aber sie ist immer arbeitsam und hört auf mich. Meine zwei Jungs, der Eilif und der Schweizerkas, sind eben Jungs... immer Hunger und Durst und nie zufrieden. Immer passt ihnen was nicht. 
Worauf sind Sie am meisten stolz?
Oh je, eine schwere Frage... ich glaub auf meinen Branntwein. Das Rezept hab ich von meiner Großmutter, Gott hab sie selig. Jeder mag den!
Danke für das Interview, Courage. Ich wünsche Ihnen noch viel
Glück und Erfolg.

Das Interview führte die Redakteurin Isabel Respondek

 


Wer ist hier die Hure? Bericht

Wer ist hier die Hure? Kommentar

Mutter Courage- eine Rabenmutter?!

Das stumme, aber gute Herz

Tod durch Tugend

 

 

Wer ist hier die Hure? 

von Anke Schweiberger

Die roten Stiefel, die damals eine Hure kennzeichneten, trägt Yvette. 
Ist sie dadurch der Hurerei überführt?
Dieses ist eines der Kennzeichen einer Hure, doch weist Mutter Courage nicht mehr Zeichen einer Hure auf? Ihre drei Kinder Eilif, Schweizerkas und Kattrin sind jeweils von verschiedenen Männern! Dies ist doch ein erheblich deutlicheres Merkmal für eine Hure als die roten Stiefel. Im Vergleich erinnert auch das Verhalten der Mutter Courage mehr an eine Hure als das der Yvette. Mutter Courage ist egoistisch, schlägt aus dem Schlechten ihren Profit. An erster Stelle gilt es, das Einkommen zu sichern. Erst an zweiter Stelle stehen die Kinder, die Mutter Courage zwar liebt, es jedoch nicht immer zeigen kann. In der Öffentlichkeit wirkt sie eher kühl und abweisend. Huren sind nur auf sich bedacht und genau diesen Eindruck macht Yvette nicht.

Der Kommentar

Wer ist hier die Hure? 

Meiner Meinung nach trifft dieser Bericht die Sache genau auf den Punkt!
Denn eine Frau wie M.C., die sich an ihrer Sprunghaftigkeit in Bezug auf Männer sichtlich erfreut und 3 Kinder, mit jeweils einem anderen Vater, in die Welt setzt, ist in meinen Augen eher eine Hure als Yvette. Sie hingegen ist schließlich an die gegebenen, schweren Umstände unserer momentanen Situation gebunden. Sicherlich ist die Prostitution nicht gerade der seriöseste Beruf, für Yvette jedoch anscheinend die einzige Möglichkeit, Geld für Essen & Trinken zu verdienen um diese schreckliche Kriegszeit zu überstehen.
Diesen Aspekt sollte man unbedingt berücksichtigen, ehe man voreilige Schlüsse zieht!


Jessica Trescher

 

George Grosz: Ausgang

Mutter Courage-eine Rabenmutter?!

von Jessica Trescher

Die Idealvorstellung einer Mutter ist sicherlich eine andere als die, welche die Courage verkörpert.
Sie erweckt schließlich nicht gerade den Eindruck, als wäre sie ihren Kindern gegenüber sehr verantwortungsbewusst oder fürsorglich, was eine gewöhnliche Mutter von Natur aus eigentlich kennzeichnet. Von Mutterliebe oder Geborgenheit haben diese Kinder wohl nie etwas gespürt. Aufgrund der vielen Affären, ist Courage bestimmt auch kein gutes Vorbild für Schweizerkas, Eilif & Kattrin, was M.C. aber nicht einmal zu bemerken scheint. 
Eine richtige Bindung zu ihren Kindern besteht bedauerlicherweise nicht. 
Ihr Geschäftssinn geht immer wieder mit ihr durch, so dass sie sich mit jedem Tag weiter von den dreien distanziert. Das Einzige, das ihr wirklich wichtig erscheint und auf das sie sich fixiert, ist ihr EGO und der Wunsch, vermögend zu sein. Auch dass eine Mutter ihrer stummen Tochter ständig deren scheinbare Hässlichkeit vorhält oder noch schlimmer: den eigenen Sohn ans Messer liefert, um nicht selber getötet zu werden, ist unbegreiflich. 
Trotz allem ist der Begriff „Rabenmutter“ vielleicht etwas zu hart. Manchmal, wenn auch nur selten, kommt die menschliche Seite der Courage zum Vorschein, und man bekommt das Gefühl, dass sie ihre Kinder doch nicht nur als Objekte betrachtet, sondern als ihr eigen Fleisch & Blut.

 

Das stumme, aber gute Herz

von Isabel Respondek

Misshandlung, Krieg und Tod bestimmten das komplette Leben der Kattrin Haupt. Ihr Lebensweg ist ein Weg aus Leid und Not, aber auch ein Weg des Mutes, den sie an ihrem Todestag unter Beweis stellte.

Kattrin Haupt, ist die Tochter der Anna Fierling und eines Unbekannten. Ihre Mutter, auch unter dem Namen Mutter Courage bekannt, ist eine knallharte Händlerin mit einem klaren und zielstrebigen Verstand.
Als Kattrin auf die Welt kam, war sie noch im Besitz ihrer Stimme, doch vom Krieg blieb sie schon als kleines Kind nicht verschont, denn ihr wurde von einem Soldaten eine Pistole in den Mund geschoben, so dass sie sich von diesem Zeitpunkt nicht mehr mit ihren Mitmenschen verständigen konnte.
Mit ihrer Mutter verbrachte sie ihr ganzes Leben, zum größten Teil auch ganz alleine, da ihre beiden Brüder im Kriegsdienst ums Leben kamen.
Ihre letzte Tat vor ihrem Tod... eine Heldentat im Angesicht des Todes. Sie erklomm ein Scheunendach, um trommelnd die schlafende Stadt Halle vor einem Überfall der Katholischen zu warnen. Zwei der feindlichen Soldaten warteten unter dem Dach und befahlen ihr, damit aufzuhören, damit die Stadt davon nichts mitbekomme, ansonsten würde sie sofort sterben.
Kattrin war immer die Genügsame, beschwerte sich niemals oder protestierte gegen Unrecht. Das alles wurde natürlich durch ihre Stummheit noch verstärkt, und sie verschloss sich immer mehr in sich selbst. Ihre Mutter dagegen, sprach immer das aus, was sie dachte und herrschte über ihren Besitz und damit auch über Kattrin. 
Diese Jahre der Verschlossenheit, ohne wirkliche echte Mutterliebe oder Zuwendung machten Kattrin über die Jahre kaputt.
Eine solche Frau, die ihr Leben opfert, welches zusätzlich durch ihre Stummheit und eine harte Kriegszeit erschwert wurde, sollte sehr geschätzt werden. 
Ich bin der Meinung, dass sie etwas sehr Mutiges und Tapferes geleistet hat und man muss dieser Kattrin Haupt ein paar Minuten Aufmerksamkeit schenken und ihrer Heldentat gedenken.

Rolf Grieg: Kattrin trummelt

Tod durch Tugend

Mutter verliert ihre tugendhaften Kinder
Zahlt sich eine Tugend nicht mehr aus?

von Alexia Hanebutte

Laut Lexikon ist eine Tugend die Bereitschaft, das Gute bzw. Sittliche zu tun.
Folglich ist eine Tugend etwas sehr Positives und Lobenswertes.
Anzunehmen wäre also, dass tugendhafte Menschen besonders in der heutigen Zeit hervorgehoben werden sollten. Wie kommt es dann dazu, dass eine Mutter ihre allesamt tugendhaften Kinder beweinen muss? Der älteste Sohn Mutter Courages, Eilif, ein Soldat, hat es seiner Kühnheit zu verdanken, dass er während dem kurzen Augenblick des Friedens exekutiert wird. Denn während er Kühnheit im Überfluss besaß, mangelte es ihm an Verstand oder an Erfahrung zu bemerken, dass der Krieg streng genommen eine Ausnahmesituation darstellt, dass also die Regeln des Krieges in Friedenszeiten nicht gelten.
Der zweite Sohn Schweizerkas ging hingegen an seiner Redlichkeit zu Grunde: weil er sich weigerte, die Regimentskasse herauszugeben, wurde er hingerichtet. Wären sie noch am Leben, hätten sie keine Tugend besessen? Sicherlich, denn ein Feigling überfällt keine Bauernhöfe und ein Verräter hat keine Hemmungen mit dem Feind zu fraternisieren. Aber da Eilif ohne seinen Mut nie lange im Krieg überlebt hätte und Schweizerkas ohne seine Rechtschaffenheit nie den Posten des Zahlmeisters bekommen hätte, hat ihnen ihre Tugend zu Lebzeiten durchaus Vorteile verschafft. Aber nicht nur die Söhne erleiden ein gewaltsames Ende, auch Kattrin, die Tochter, kommt um, ebenfalls wegen ihrer Tugend: der Nächstenliebe, die sie dazu verleitet auf das Dach eines Bauerhofes zu klettern um die Stadt Halle aus dem Schlaf zu trommeln, eine Tat, die tödlich für sie endet. Vielleicht sollte man sich die Verse des Lieds von Salomon, welches die tugendfreie Mutter Courage singt, zu Herzen nehmen:

„Denn die Tugenden zahln sich nicht aus, nur die Schlechtigkeiten, so ist die Welt und müsst nicht so sein!“
„Alle Tugenden sind nämlich gefährlich auf dieser Welt.“
„Beneidenswert, wer frei davon.“

© 2005-2010 Michael Seeger, Faust-Gymnasium 79219 Staufen, Letzte Aktualisierung 14.05. 2010