Seminarkurs 2000/01 

"Dolly und die Folgen"

Eine Begegnung von Natur- und Geisteswissenschaft
in Fragen der Humangenetik
 
 
 

Material/Nachrichten:  
1. Die Verheißung (18.9.00)
2. Huhn Britney (3.12.00)
3. Die entgrenzte Kreatur (5.12.00)
4. Britisches Gesetz zum therapeutischen Klonen (22.12.00)
5. Computer lösen genetisches Puzzle (5.4.00)
6. Bundeskanzler: "Darf man töten?" (12.1.00)
7. Exzerpt zu Kollek
(27.01.01)
8. Werner Bartens (12.04.01)
9. Kanzler beruft Ethikrat (03.05.01)
10. DFG Stammzellenforschung (04.05.01)
11. Lord Ralf Dahrendorf: "Gefragt - moralische Urteile" (5.5.01)
Dr. Wilke: Scharfe Kritik am Schwenk der DFG (21.06.01)
1. Einstiegstext: "Die Verheißung"
18.09.2000

Aufgabe: Nach der Teambildung Text in Stillarbeit studieren, dann im Team diskutieren, Präsentation des Textes bis 10. Oktober vorbereiten
2. Huhn "Britney"

eingestellt von Simone Wiesler 

am 03.12. 2000

 

 

3. Leitartikel der "Badischen Zeitung" dazu (Britney)

"Die entgrenzte Kreatur" 05.12. 2000

mitgeteilt von M. Seeger

London - Das schottische Forschungsinstitut, das 1997 das geklonte Schaf "Dolly" züchtete, hat nun ein gentechnisch verändertes Huhn namens "Britney" geschaffen. Die Eier sollen Proteine liefern, die ein wichtiges Protein im Kampf gegen Krebs und andere Krankheiten liefern. Nach einem Bericht der britischen Zeitung "Mail on Sunday" wurde Henne Britney in zweijähriger Forschungsarbeit vom Roslin Institute in Edinburgh und der US-Biotechnologiefirma Viragen geschaffen.

Eier enthalten Proteine für Krebsmedikamente

Durch eine Veränderung der Gene in der Stammzelle werde erreicht, dass das Huhn Eier lege, in deren Eiweiß sich bestimmte Proteinverbindungen befinden, berichtet die "Mail on Sunday". Diese Proteine, die bislang nur durch ein kompliziertes und teures Verfahren hergestellt werden konnten, sollen in Medikamenten gegen Hautkrebs, Gebärmutterkrebs und Brustkrebs eingesetzt werden.

Die Entwicklung wichtiger Medikamente werde durch die Knappheit bestimmter Proteine behindert, so die "Mail on Sunday". Jetzt könne jede gentechnisch veränderte Henne etwa 250 Eier pro Jahr legen. Jedes Ei enthalte etwa 100 Milligramm der gesuchten Proteine, die leicht entnommen werden könnten. Zum ersten Mal sei es den Forschern gelungen, ein Tier zu "konstruieren", das tatsächlich Eier mit den benötigten Proteinen liefert.

Henne "Britney" soll nach Angaben der "Mail on Sunday" am Mittwoch der Weltöffentlichkeit vorgestellt werden. (AOL/dpa)


4. Pressemeldungen zur britischen Gesetzesinitiative zum therapeutrischen Klonen 
20./22. 12. 2000

mitgeteilt von Simone Wiesler 

Klonen: Gefährliches Spiel

Merkel fordert Kanzler-Nein zum Klonen

Das Schaf Dolly

Klonen als Therapie

Die Technik des Klonens

 

 
Das britische Unterhaus hat mit großer Mehrheit für eine Gesetzesänderung gestimmt, die das Klonen menschlicher Embryonen zu medizinischen Zwecken erlaubt - falls auch das Oberhaus zustimmt, wäre Großbritannien das erste europäische Land, in dem menschliche Embryonen für Forschungszwecke geklont werden dürfen.
 
Die Süddeutsche Zeitung mahnt eindringlich zu einem hiesigen Verzicht der Nachahmung: "In Deutschland tut man gut daran, am totalen Klonverbot festzuhalten. Dringend geprüft werden muss aber eine Lücke im Embryonenschutzgesetz: Demnach ist der Import von Zellen erlaubt, die im Ausland aus geklonten Embryonen erzeugt wurden. Gesundheitsministerin Andrea Fischer hat gut daran getan, solche und andere Fragen bereits im Frühjahr auf einem Kongress zur Vorbereitung eines Fortpflanzungsmedizin-Gesetzes zur Diskussion zu stellen. Schon bei dieser Debatte mussten Befürworter des Klonens aber zu mehr Ehrlichkeit ermahnt werden: Es geht derzeit in der Praxis nicht um Therapien für Kranke, sondern um medizinische Grundlagenforschung. Der Begriff „therapeutisches Klonen“ verschleiert dies, er sollte durch „Klonen für die Forschung“ ersetzt werden. Und wer tatsächlich bereits von Therapien mit Menschen-Klonen träumt, muss offen zugeben: Für 100.000 Patienten bräuchte er wahrscheinlich 100.000 Embryonen – und damit 100.000 Frauen, die eine Eizelle spenden. Ein bedenkliches Opfer."
 
Die Bild-Zeitung sieht in der Entscheidung Englands bereits die Grundsteinlegung einer Spaltung Europas: "Das britische Unterhaus hat jetzt das Klonen erlaubt. Damit ist Europa gespalten. Denn in anderen Ländern sind solche Experimente streng verboten – wie bei uns. Die Folgen der Entscheidung von London kann sich jeder ausmalen: Unheilbar Kranke, die mit Hilfe geklonter Zellen zu heilen wären, werden sich über kurz oder lang an englische Ärzte um Hilfe wenden, die ihnen deutsche Ärzte nicht bieten könnten. Die ethischen Bedenken, die vielen jetzt noch heilig sind, werden doch wohl rascher verschwinden, als wir heute ahnen..."
 
Die Hamburger Morgenpost wirft Großbritannien indes wirtschaftlichen Antrieb für die Entscheidung vor: "Dem Londoner Parlament geht es bei der begrenzten Freigabe des Klonens nicht nur darum, kranken Menschen besser zu helfen. Ebenso wichtig sind die handfesten ökonomischen Vorteile. Denn internationale Biotechnologie-Konzerne werden sich dort ansiedeln, wo ihnen am wenigsten Schranken auferlegt werden. Dadurch lastet auf Deutschland ein enormer Druck, das Gleiche zu tun. Medizinische Forschung ist aller Ehren wert. Genauso wie der Wunsch, damit gutes Geld zu verdienen. Aber dieses wirtschaftliche Ziel darf weder der wichtigste Antrieb noch der einzige sein. Dann nämlich bliebe schnell die Würde des Menschen auf der Strecke. Und das Vertrauen in die Wissenschaft sowieso."
 
In der Frankenpost wird die Entscheidung Englands als unwiderruflich eingestuft: "Ein Blick auf die deutsche Rechtslage zeigt, wie problematisch schon zarte Anfänge sein können. Bei uns ist das Gewinnen embryonaler Stammzellen strikt verboten; die Forschung an und mit solchen Zellen hingegen ist erlaubt. Die ersten Förderanträge für Experimente mit aus den USA importierten Embryonenzellen laufen bereits. Gebrochene Dämme sind nicht zu flicken. Schon gar nicht, wenn ohne hindernde Dämme richtig viel Geld zu verdienen ist. Das ist das eigentlich Bedenkliche an der britischen Unterhaus-Entscheidung: Sie schafft Fakten; sie ist nicht rückholbar. Mögen noch so viele Bekundungen ethischen Verantwortungsbewusstseins, noch so viele freiwillige Selbstbeschränkungen formuliert werden: Die Konsequenz ist unausweichlich. Wer einmal angefangen hat, Menschen zu klonen, der macht auch weiter. Und dann?"
 
Der Mannheimer Morgen fordert eine klare Abgrenzung zum rein reproduktiven Klonen: "Die Grenzen zwischen Fluch und Segen verlaufen auf diesem revolutionären Feld allerdings sehr fein. Und sie sind fließend. Erstmals sei es nun gesetzlich erlaubt, der Schöpfung ins Handwerk zu pfuschen, sagen die Kritiker. Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Doch schon heute werden sogenannte überzählige Embryos, die bei der Produktion von Retorten-Babys entstehen, vernichtet. Ohne dass der Gesetzgeber bisher Grund zum Einschreiten sah. Trotz aller Bedenken muss letztlich ein wichtiger Punkt festgehalten werden. Die Abgrenzung zum reproduktiven Klonen bleibt bestehen. Sie ist sogar schärfer gezogen worden als jemals zuvor. Die Schöpfung eines kompletten Menschen ist streng verboten. Man darf hoffen, dass das so bleibt. Nicht alles, was möglich ist, muss auch geschehen. Garantien dafür gibt es aber nicht." 
 
 
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Berlin - In der Diskussion über die Gentechnik hat die CDU-Vorsitzende Angela Merkel Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeworfen, ihm fehle ein "klares Wertegerüst". Es habe nichts mit ideologischen Scheuklappen zu tun, Chancen und Risiken abzuwägen, sagte Merkel der Tageszeitung "Die Welt".
 
Schröder hatte sich in einem Beitrag für die Zeitung "Die Woche" gegen solche "ideologischen Scheuklappen und grundsätzliche Verbote" in der Gentechnik ausgesprochen. Eine Selbstbescheidung Deutschlands würde nur dazu führen, dass importiert werde, "was bei uns verboten, aber in unseren Nachbarländern erlaubt ist", so Schröder. Das britische Parlament hatte am Dienstag ein Gesetz gebilligt, nach dem bis zu 14 Tage alte Embryos für therapeutische Zwecke geklont werden dürfen.
 
Merkel forderte vom Kanzler eine klare Aussage, "dass in Deutschland das Klonen von Embryonen verboten ist und bleibt". Ein Ja zur Forschung müsse eingebettet sein in ein ethisches Fundament. Schröder äußere sich aber nur vage.
 
Nach dem britischen Beschluss, das Klonen zu erlauben, verlangte die Deutsche Forschungsgemeinschaft, zunächst Alternativen zu prüfen. Vor allem müsse untersucht werden, ob Stammzellen von Erwachsenen den Einsatz embryonaler Stammzellen überflüssig machen können. Sollte das nicht möglich sein, "muss neu überlegt werden", stellte die Forschungsgemeinschaft fest.
 
Ein Sprecher des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller sagte der "Kölnischen/Bonner Rundschau", aus Respekt vor der Würde des Menschen lehne die Organisation das Klonen ab. Langfristig befürchtet der Verband jedoch auch Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Ausland. (AOL/dpa)
 
Das wohl bekannteste Schaf der Welt ist Dolly. Dolly wurde nicht in der Liebesnacht zweier Eltern-Schafe gezeugt, Dolly wurde im Labor geklont. Es ist damit vollständig identisch mit dem Schaf, dessen Erbmasse für die Klonierung verwendet wurde.
 
1997 wurde Dolly "produziert". Dazu entnahmen die Forscher einem gesunden weiblichen Schaf eine Eizelle. Eine Eizelle enthält in ihrem Zellkern normalerweise die vollständige Erbsubstanz der Mutter. In diesem Fall wurde aber der Zellkern samt Erbsubstanz - den Genen - aus der Eizelle entfernt und statt dessen der Zellkern einer Hautzelle eines anderen Schafes eingepflanzt.
 
Der so künstlich hergestellte Embryo wurde in die Gebärmutter des weiblichen Schafes eingesetzt. Anders als bei einer künstlichen Befruchtung, wo die Samenzellen des Mannes mit der Eizelle der Frau außerhalb des Körpers verschmolzen werden und so eine gemeinsame Erbsubstanz besitzen, besaß diese neue Eizelle also die Erbsubstanz eines bereits existierenden Schafes.
 
Von der ursprünglichen "Mutter", welche die Eizelle "gespendet" hatte, waren also überhaupt keine Erbinformationen mehr vorhanden. Tatsächllich wuchs ein gesundes Schaf - Dolly - heran, das vollständig identisch mit dem Schaf war, das ursprünglich die Hautzelle gespendet hatte.
 
Das Ungewöhnliche daran war: Eine Hautzelle ist eine sehr spezialisierte Zelle ist, und man hatte nicht erwartet, dass die Erbmasse dieser Zelle für die Entwicklung eines kompletten Organismus ausreichen würde.
 
Wenn also jede Zelle, die gesamten Erbinformationen eines Organismus enthält, so könnte man möglicherweise auch gezielt nur einen bestimmten Teil dieses Organismus klonen. Das war die weitere Überlegung und damit der Grundgedanke zum therapeutischen Klonen gesetzt.
 
Bei "therapeutisches Klonen" denken die meisten Menschen gleich an die künstliche Verdoppelung einer bereits existierenden Person. Diese Erschaffung eines Menschen hieße aber "reproduktives Klonen" und das ist zur Zeit gar nicht Gegenstand der Diskussion.
 
Therapeutisches Klonen will, kurz gesagt, ein "Ersatzteillager" für kranke menschliche Gewebe und Organe schaffen. Gewebe und Organe, die zur Zeit noch von anderen Menschen gespendet und transplantiert werden müssen - zum Beispiel bei einem Nierenversagen - könnten aus der Erbinformation des erkrankten Menschen gezüchtet werden. Dieser Patient könnte dann seine eigene "nachgezüchtete" Niere erhalten.
 
Diese Methode hätte den enormen Vorteil, dass die Gewebe nicht wie bisher als Fremdgewebe abgestoßen würden. Die vielen Menschen, die während der Wartezeit auf einen passenden Organspender versterben, könnten überleben.
 
Außerdem sind Behandlungsmöglilchkeiten vorstellbar, an die zur Zeit niemand einen Gedanken verschwenden würde. Krankheiten wie Alzheimer, Diabetes oder Querschnittslähmungen könnten möglicherweise geheilt werden.
 
Kritiker halten das therapeutische Klonen für ethisch nicht vertretbar, weil für dieses Ersatzteillager menschliche Embryonen verwendet würden, also menschliches Leben vernichtet werde. Außerdem sei der Nutzen immer noch fragwürdig.
 
Die Erfolge des therapeutischen Klonens werden aber immer deutlicher. Erst vor einiger Zeit gelang es Forschern, in Mäusen Muskel- und Nervenzellen nachwachsen zu lassen.
 
 
Beim therapeutischen Klonen wird aus einer menschlichen Eizelle der Zellkern mit den enthaltenen Erbinformationenen entfernt. Diese Eizelle stammt von einer beliebigen Frau. Sie muss mit dem Menschen, der behandelt werden soll, nicht verwandt sein. Anschließend wird der Zellkern zum Beispiel von einer Hautzelle des erkrankten Patienten in diese Eizelle implantiert.
 
Die neu entstandene Eizelle wird im Labor zur Teilung angeregt. Es entsteht daraus ein Embryo, der mit dem Spender der Hautzelle genetisch identisch ist. Würde dieser Embryo weiter heranwachsen, entstünde hieraus ein "Duplikat" des kranken Patieten.
 
Beim therapeutischen Klonen wird dieser Vorgang aber unterbrochen und nur einige Stammzellen aus dem Embryo entnommen, die sich dann zu verschiedenen Gewebetypen weiter entwickeln können. Auf diese Weise könnte gezielt ein spezielles Organ wie die Niere gezüchtet werden.
 
Da dieses Organ dem des erkrankten Menschen genetisch entspricht, ist mit einer Unverträglichkeit bei der folgenden Transplatation nicht zu rechnen. Ob aber tatsächlich nur ein bestimmtes Gewebe gezüchtet werden kann, ist bislang noch nicht sicher.
weitere Infos:
 
http://www.storyfinder.de/cgi-bin/storyfinder.pl?suche=klonen
5. mitgeteilt von M. Seeger

FAZ.NET - F.A.Z. Aktuelle Ausgabe Dossiers Gentechnik

Computer lösen genetisches Puzzle
Bioinformatik von Universitäten und Industrie gefördert / Großer Mangel an Fachkräften
Die Genomforschung stellt die Wissenschaftler vor eine Herausforderung besonderer Art. Täglich werden riesige Datenmengen gewonnen, vor allem über die Bausteinfolge, die DNS-Sequenz von Erbmolekülen. Es gilt, die in den Sequenzdaten verborgenen Informationen wie einen Schatz zu heben und ihren biologischen Sinn zu entschlüsseln. Diese Informationsflut zu bewältigen fällt indessen schwer. Ein noch recht neuer Wissenschaftszweig, die Bioinformatik, spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Mit ihrer Hilfe versuchen die Genomforscher in der Bausteinfolge von Erbmolekülen Gene zu identifizieren und die Funktion der entsprechenden Proteine zu bestimmen. Letztlich wollen sie das Zusammenwirken sämtlicher Biomoleküle in gesunden und kranken Zellen verstehen.

Computergestützte Analysen haben den Molekularbiologen und Genomforschern bereits in den vergangenen Jahren bei der Suche nach Genen und deren Funktion wertvolle Hilfe geleistet. Die riesige Datenfülle ist zunächst sinnvoll zu strukturieren, um sie leichter analysieren zu können. Mit speziellen Suchprogrammen lassen sich Gene in den monoton erscheinenden Genomsequenzen anhand charakteristischer Muster finden. Andere Programme dienen dazu, aus einer Gensequenz die Aminosäurereihenfolge des entsprechenden Proteinproduktes abzuleiten. Aus den Strukturelementen bekannter Proteine versucht man schließlich, auf die mögliche Funktion eines bislang unbekannten Eiweißmoleküls zu schließen. Nicht zuletzt geht es darum, sämtliche in einer Zelle gebildeten Proteine zu erfassen. Auf diese Weise lassen sich Unterschiede etwa zwischen einer gesunden Zelle und einer Krebszelle erkennen. Auch für die Analyse resistenter Bakterien oder besonders gefährlicher Erreger-Varianten ist die Bioinformatik von großem Wert.

Die Verfahren der Bioinformatik sind noch nicht völlig ausgereift. So hat sich bei dem kleinen Fadenwurm Caenorhabditis elegans, dessen Erbgut unlängst vollständig entziffert wurde, gezeigt, dass nur etwa jedes zweite anhand der Erbgutsequenz bestimmte Protein völlig korrekt vorhergesagt war. Manche waren zu groß, andere zu klein, oder es handelte sich in Wirklichkeit um zwei Eiweißmoleküle. Mit den besten bislang zur Verfügung stehenden Suchprogrammen lassen sich die in eine Folge von Aminosäuren übersetzten Genabschnitte, die so genannten Exons, meist gut erkennen. Ganz zuverlässig ist der Suchvorgang aber noch nicht. Bereiche, die der Steuerung von Erbanlagen dienen, sind bislang nur schwer zu finden. Man kennt noch zu wenige charakteristische Strukturelemente dieser Genomabschnitte.

Erforderlich ist unter anderem eine noch leistungsfähigere Software. Auch neue Algorithmen sind zu entwickeln, die Daten unter völlig neuen Gesichtspunkten analysieren. So haben Genomforscher unlängst damit begonnen, anhand von Ähnlichkeiten in Stoffwechselwegen bestimmten Genprodukten eine physiologische Rolle zuzuschreiben. In den Vereinigten Staaten, in Europa und in Japan sind zentrale Datenbanken für Gene entstanden, die seit vielen Jahren sämtliche veröffentlichten Sequenzen sammeln. Das Europäische Molekularbiologische Laboratorium (EMBL) in Heidelberg hat seine Genbank vor einigen Jahren nach Hinxton in der Nähe von Cambridge/England in ein eigens dafür geschaffenes Zentrum verlagert. Die Europäische Union hatte im vergangenen Herbst beschlossen, dieses für die gesamte europäische Genomforschung wichtige Europäische Bioinformatik-Institut nicht länger zu finanzieren. Die Schließung des Instituts würde einen Zusammenbruch unzähliger biomedizinischer Forschungsaktivitäten zur Folge haben. Inzwischen ist Fotis Kafatos, der Leiter des EMBL, indessen wieder etwas optimistischer, dass die Forschungseinrichtung letztlich doch erhalten wird.

Außer den zentralen Datenbanken sind an Universitäten, akademischen Forschungsinstituten und in der Industrie zahlreiche spezialisierte Datenbanken zum Sammeln von Gensequenzen des Menschen, von Viren, Bakterien, Pflanzen und Tieren entstanden. Laufend entstehen weitere kleinere Datenbanken. Nicht zuletzt gibt es auch Datenbanken speziell für Proteine. Hierzu gehören das aus dem Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried ausgegliederte Martinsrieder Institut für Proteinsequenz sowie die Datenbank Swissprot in der Schweiz.

Angesichts der ständig wachsenden Datenfülle steigt die Nachfrage nach Bioinformatikern immer weiter. Alle Zentren, die sich wie das Max-Planck-Institut für mole-

Fortsetzung auf der folgenden Seite

kulare Genetik in Berlin, das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, das Ressourcenzentrum des Deutschen Humangenomprojektes und viele andere mit Genomforschung befassen, sind derzeit dabei, spezielle Abteilungen für Bioinformatik einzurichten. Am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg besteht eine solche Abteilung schon seit mehreren Jahren. Doch der Nachwuchs an solchen Fachkräften ist rar. Sogar renommierte Institute wie das Martinsrieder Institut für Proteinsequenzen klagen über Nachwuchssorgen. Sobald die jungen Wissenschaftler Erfahrungen gesammelt haben, wandern sie in die Pharmaindustrie ab. Sie werden dort deutlich besser bezahlt.

Um dem Defizit zu begegnen und die Weiterentwicklung der Bioinformatik an den Universitäten zu fördern, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft im vergangenen Jahr eine Initiative Bioinformatik ins Leben gerufen. Sie hat für diesen Zweck fünfzig Millionen Mark für einen Zeitraum von fünf Jahren zur Verfügung gestellt. Bislang haben sich meist Molekularbiologen mit einem Hang für die Arbeit am Computer in diese Richtung spezialisiert. Viele Biologen bringen aber, was die Informatik betrifft, nicht die richtigen Voraussetzungen mit. Den klassischen Informatikern fällt es hingegen meist schwer, die Probleme der Biologen zu verstehen. Man hofft daher, mit einer neuen Generation speziell ausgebildeter Bioinformatiker die Lücke zu schließen.

An vielen deutschen Universitäten versucht man außerdem, die Bioinformatik als Studienfach zu etablieren. An der Universität Bielefeld gibt es einen solchen Studiengang schon seit zehn Jahren. Seit kurzem kann man Bioinformatik auch in Freiburg, Tübingen und Halle studieren. Fast ein Dutzend weiterer Universitäten ist auf dem Wege, ebenfalls einen Studiengang Bioinformatik anzubieten, so zum Beispiel in Berlin, Frankfurt am Main, Gießen und Leipzig. In Gießen wird als Erstes die Fachhochschule einen solchen Studiengang anbieten, später auch die Universität. Die Besetzung der Stellen bereitet jedoch aus Mangel an Fachkräften erhebliche Schwierigkeiten.

Die Pharmaindustrie hat ebenso große Pläne. Die Bioinformatiker sollen im Erbgut des Menschen möglichst schnell Gene identifizieren, die sich an bestimmten Krankheitsprozessen beteiligen. Die Proteinprodukte dieser Erbanlagen will man als Zielstrukturen für die Entwicklung neuer Medikamente nutzen. Die Firmen Motorola und IBM haben sich unlängst einem internationalen Konsortium von zwölf großen Pharmafirmen angeschlossen, um gemeinsam die Funktion menschlicher Gene zu entschlüsseln. IBM will unter anderem hundert Millionen Dollar speziell für die Strukturanalyse von Proteinen bereitstellen. Die Firma will einen neuen Supercomputer bauen, der bei den Proteinen funktionsbezogene Strukturelemente identifizieren kann. Manche junge Biotechnologiefirmen wie "Lion Bioscience" in Heidelberg haben sich ganz darauf spezialisiert, Bioinformatik als ein Produkt zu liefern. Sie bieten die Suche nach krankheitsrelevanten Genen Pharmafirmen als Dienstleistung an. Außerdem entwickeln sie neue Computerprogramme für die Suche nach den Genen und ihrer Funktion.

Die biologische Forschung unternimmt nun mit dieser Art Genomforschung den Versuch, die vielen in einer Zelle ablaufenden Reaktionen ganzheitlich zu erfassen. Rund ein Jahrhundert lang war es vor allem ihr Ziel gewesen, die Prinzipien von Lebensvorgängen zu verstehen. Man beschränkte sie sich auf die Analyse einzelner Teilschritte wie der Wirkungsweise von Enzymen oder das Speichern genetischer Information. Die Bioinformatik bietet jetzt die Chance, die verwirrende Fülle von Einzelvorgängen zu einem komplexen Bild zusammenzufügen.


BARBARA HOBOM
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.04.2000, Nr. 81 / Seite N1

6. 12.01.00 mitgeteilt von

M. Seeger

FAZ.NET - F.A.Z. Aktuelle Ausgabe Feuilleton

 
Die Moral des Bundeskanzlers
 
"Darf man töten, um . . .?" - Was der Bundeskanzler antwortet

In der neuen Ausgabe der Zeitschrift "Stern" gibt Gerhard Schröder ein großes programmatisches Interview zu nahezu sämtlichen Feldern der aktuellen Politik. Daß er das gesellschaftspolitische Zukunftsthema Nummer eins, die Gentechnologie, dort nur mit einigen wenigen Sätzen behandelt, erstaunt angesichts der Ausführlichkeit, mit der er sich zu anderen, eher tagesaktuellen Themen einläßt. Was auf den ersten Blick als bloßer Proportionsfehler ins Auge springt, enthüllt sich als kunstvoll eingesetzte Diskursstrategie, sobald man dann liest, was Schröder sagt. Hier ist auf engstem Raum ein Lehrstück über das Verhältnis von Politik, Ökonomie und Moral zu besichtigen, wie es sich so konzentriert sonst selten findet.

Zunächst: Man muß dem Bundeskanzler dankbar sein, daß er die jetzt wieder allenthalben gestellte Frage "Dürfen wir, was wir können?" einmal offen als das beschreibt, was sie im Prozeß der politischen Entscheidungsfindung in aller Regel eigentlich ist: eine bloße Alibifrage, die nun einmal irgendeiner stellen muß, damit sie gestellt ist, um sie hernach um so problembewußter mit einem in tausend Abwägungen gereiften "Ja" beantworten zu können. Um Abwägungen geht es bei der Steuerung der biotechnologischen Revolution in der Tat, will man die therapeutischen Chancen nicht von vornherein als "Teufelszeug" verwerfen und einfach die alten Fronten neu eröffnen, wie sie die großen moralischen Debatten der Bundesrepublik - Stichwort: Atomenergie - kennzeichneten: Einer moralischen Komplettverweigerung, die Ignoranz für Tugend ausgibt, steht die Berufung auf ein höheres ökonomisches Bewußtsein gegenüber, das jeden Einwand mit der Fortschrittskeule zu diskreditieren sucht. Will man sich nicht erneut in diese Frontstellung hereinmanövrieren, konzentriert sich alles auf die Frage, welche Parameter im Prozeß der Abwägung zugelassen sein sollen und welche nicht, und eben hier hat Schröder Klartext geredet: Der Bundeskanzler läßt nur Einwände zu, die zwar die Alibifunktion erfüllen, den technologischen Durchmarsch aber im Ernst nicht in Frage stellen.

Es kann nun einmal kein Zweifel bestehen, daß im Zentrum aller gentechnologischen Spezialdebatten - sei es die um Präimplantationsdiagnostik oder ums therapeutische Klonen - die Frage nach dem Status des menschlichen Embryos steht. Hier hat man sich, von der jahrelangen Abtreibungsdebatte erschöpft, an eine verlogene Sprachregelung der Doppelmoral gewöhnt, die die Republik "Skandal" rufen läßt, wenn ein James Watson im Feuilleton dieser Zeitung seine eugenischen Thesen publiziert, aber im gleichen Atemzug die Vernichtung sogenannter überzähliger Embryonen für durchaus erwägenswert erachtet, wenn sich dafür nur ein guter Zweck angeben läßt. Die faktische Doppelmoral ist in dieser Frage auch gesetzgeberisch so etabliert, daß sie die Kategorie der Moral selbst verdorben hat: Eine moralische Argumentationsfigur kann hier nur noch als Witzfigur wahrgenommen werden. Daß es so ist, daß man lieber bereit ist, die Moral selbst außer Kraft zu setzen, als die von den Dächern gepfiffene Doppelmoral für Moral zu halten, mag man andererseits auch wieder als Hinweis auf eine gewisse Unverwüstlichkeit des moralischen Wissens lesen. In diesem Sinne glaubt der Bundeskanzler leichtes Spiel zu haben, wenn er die im Zusammenhang mit dem therapeutischen Klonen gestellte Frage der "Stern"-Redakteure: "Darf man töten, um . . .?" einfach brüsk unterbricht und sich jede begriffliche Klärung in dieser Sache mit dem Satz verbittet: "Ich würde bitten, bei diesem schwierigen Gebiet von so plakativen Begriffen wegzukommen." Daß Schröder glaubt, Klarheit als Plakativität diffamieren zu können, ist nur möglich, weil er an einen Status von Moral anknüpft, den ernst zu nehmen er nicht für nötig hält. So kommt es zu der Gleichsetzung von Moral mit "hehrer" Moral, zu der Abkanzlung jedes noch so verfassungsgestützten Einwandes mit einem einzigen naßforschen Satz: "Ich verstehe die Kritik derer, die mir jetzt mit hehrer Moral kommen, nicht."

Ein Satz, der Schröder in der Tat als Kanzler des gesunden Menschenverstandes ausweist, eines Verstandes freilich, der mit der Rhetorik der reinen Vernünftigkeit jede Frage nach Recht und Ethos als "ideologische Scheuklappe" abtut. Nun setzen wir uns doch alle mal an einen Tisch und seien ehrlich - so etwa scheint es der Kanzler zu meinen, wenn er an die Evidenz eines neuen Common sense appelliert, an "eine vernünftige Balance zwischen der ökonomischen Nutzbarkeit und der ethischen Verantwortbarkeit". Daß die Frage nach der ethischen Verantwortbarkeit gegebenenfalls die Frage nach unbedingten Unterlassungsgeboten einschließt, dafür ist in Schröders Konzeption von Rationalität kein Platz, welche mit Vernunft stets nur den ökonomischen Kompromiß zu meinen scheint und jeder Frage nach weitergehenden Prioritäten ein Papperlapapp entgegenhält. Was für ein Verfassungsverständnis offenbart ein Kanzler, der die umständliche ethische Debatte über Leben und Tod dadurch beenden will, daß er ganz im Stil des neunzehnten Jahrhunderts die Gefahr eines "Bündnisses zwischen Fortschrittsfeindlichkeit und konservativem Fundamentalismus" an die Wand malt. Dabei geht es wohlgemerkt nicht nur um nationale Fragen, es geht bereits um internationale Fragen der Biopolitik: Kerstin Holm beschreibt im heutigen Feuilleton die Situation in Rußland, der der Westen nur mit normenfester und aufgeklärter Politik begegnen kann. Schröder sitzt nicht mehr in Hannover.


CHRISTIAN GEYER
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.01.2001, Nr. 10 / Seite 43
   9. Politik  mitgeteilt von M. Seeger
3. Mai 2001    Badische Zeitung    Kommentar dazu von Ralf Dahrendorf

Experten sollen Regierung in Fragen der Gentechnik beraten

Kanzler beruft Ethikrat

BERLIN (dpa). Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat am Mittwoch erstmals einen „Nationalen Ethikrat“ berufen. Das Expertengremium soll sich mit moralischen Fragen und Grenzen bei der Bio- und Gentechnik beschäftigen. Dazu hat Schröder namhafte Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und Repräsentanten des öffentlichen Lebens, wie Vertreter der Kirchen, Gewerkschaften und einer Behinderten-Selbsthilfegruppe ausgesucht. Der auf persönliche Initiative des Kanzlers eingesetzte Expertenkreis soll Bundesregierung und Parlament beraten und „auch Einfluss nehmen auf konkrete politische Entscheidungen“. Aktueller Auslöser der Gründung ist die derzeit in der rot-grünen Bundesregierung und in allen deutschen Parteien kontrovers diskutierte Frage moralischer Grenzen bei der Stammzellenforschung, beim Klonen und bei Gentests von Embryos zur Vermeidung schwerer Erbkrankheiten.
 

   10. Politik  mitgeteilt von M. Seeger

4. Mai 2001  Badische Zeitung   Kommentar dazu von Werner Bartens

Deutsche Forschungsgemeinschaft für neue Regeln

Forschung an Embryonen?

BONN (dpa/KNA). Deutsche Wissenschaftler dürfen nach Meinung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) embryonale Stammzellen aus dem Ausland importieren und damit arbeiten. Es gebe keine Rechtfertigung dafür, die Forschung mit legal im Ausland hergestellten embryonalen Stammzellen grundsätzlich auszuschließen, hieß es in einer am Donnerstagabend in Bonn veröffentlichten Mitteilung. Falls erforderlich solle der Gesetzgeber sogar überlegen, Wissenschaftler in Deutschland „aktiv an der Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzelllinien“ arbeiten zu lassen. Dies bedeute eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes. Die DFG gibt jedoch weiterhin der Forschung mit Stammzellen von Erwachsenen den Vorrang.

Die DFG berät Regierung und Bundestag in wissenschaftlichen Fragen. Ihre Entscheidung bedeutet einen Kurswechsel: In einer Erklärung von 1999 hatte die Forschungsgemeinschaft die Nutzung embryonaler Stammzellen als gegenwärtig nicht notwendig bezeichnet. Sie hatte dabei auf alternative Möglichkeiten bei der Gewinnung menschlicher Stammzellen verwiesen, beispielsweise aus Nabelschnurblut oder aus den Körpern bereits geborener Menschen. Außerdem verbiete das Embryonenschutzgesetz alle fremdnützige Forschung an menschlichen Embryonen.

Unterdessen hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erneut in die Debatte um Genforschung am ungeborenen Leben eingeschaltet. Er halte das Embryonenschutzgesetz von 1990 für ein „gutes Gesetz“, sagte er der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung . Es gebe allen Grund „es zunächst einmal so zu belassen, wie es ist“.

 

  11.  Politik  mitgeteilt von M. Seeger
5. Mai 2001   Badische Zeitung

Von Lord Ralf Dahrendorf

LEITARTIKEL

Gefragt: moralische Urteile

Schwierige Fragen, die Entscheidungen von moralischer Verbindlichkeit verlangen, hat es immer schon gegeben. In den vergangenen Jahrzehnten gehörte dazu vor allem die der Abtreibung. Neuerdings auch die Sterbehilfe. Hier wird deutlich, dass es in modernen Gesellschaften weder einen Konsens in ethischen Dingen gibt noch eine Institution, deren Haltung bestimmende Kraft hat. Die entstehende Verlegenheit fordert „moderne“, also säkularisierte und eher anomische Gesellschaften heraus und wird das auch in Zukunft tun.

Nun ist indes zu solchen Herausforderungen eine weitere hinzugekommen. Sie wird an der Verwendung von Embryos zur Erforschung und möglicherweise Heilung zerstörerischer Krankheiten besonders deutlich, ist jedoch nicht auf diese beschränkt. Dürfen wir alles tun, was wir tun können? Das ist noch die einfachste Frage. Komplizierter wird es, wenn es darum geht, das explosive Gemisch von wissenschaftlich Möglichem, kommerziell Interessantem, politisch Durchsetzbarem und moralisch Akzeptablem zu entschärfen, und so zu einem vernünftigen Entscheidungsprozess zu kommen.

Auf den ersten Blick gibt es zwei Wege, um Entscheidungen über solche Fragen von großer Tragweite zu treffen. Der eine ist der demokratische Weg, also die Entscheidung durch Mehrheiten gewählter Parlamente. Dieses Prinzip ist so wichtig, dass man nicht leichten Herzens von ihm abgehen sollte. Es hat aber in den fraglichen Fällen zwei Schwächen. Die eine ist, dass politische Mehrheiten unzulänglich scheinen, wenn es um Fragen von ethischer Tragweite geht. Die andere Schwäche ist, dass das große Prinzip des Parlamentarismus, das Urteil des gesunden Menschenverstandes, hier nicht mehr zureicht. Die Frage (zum Beispiel), ob durch intensivere Erforschung so genannter adulter Stammzellen die Verwendung von Embryos überflüssig werden kann, ist keine Frage für die normale Urteilskraft aller Bürger.

Der andere Weg zur Entscheidung führt über die Gerichte. Er ist vor allem in Deutschland, aber auch in den Vereinigten Staaten gängig. Doch lässt sich nicht alles in plausibler Weise auf einen Verfassungstext zurückführen, dem die spezifische Mischung von wissenschaftlichen, kommerziellen, politischen und ethischen Fragestellungen, um die es geht, durchaus fremd war. Verfassungsrecht wird dann also Richterrecht – und warum sollten gerade Richter berufen sein, für die ganze Gesellschaft verbindliche moralische Urteile zu fällen?

In dieser Lage scheint es durchaus plausibel, zwischen Parlament und (Verfassungs-)Gericht eine andere Instanz zu schieben, zum Beispiel einen Ethikrat. Jedenfalls ist dies plausibel, wenn mindestens drei Bedingungen erfüllt sind: (1) Der Rat ist dem gewählten Parlament verantwortlich; er führt gewissermaßen die anders nicht mögliche, aber nötige Debatte über komplexe Themen. (2) Der Rat muss angehört werden; es gibt also Verfahren (wie etwa beim Sachverständigenrat der Ökonomen), um seine Erwägungen vor die Entscheidungsinstanzen zu bringen. (3) Der Rat ist so zusammengesetzt, dass die Mehrzahl nicht nur von Meinungen, sondern auch von Interessen erkennbar repräsentiert ist, aber die Methode der unabhängigen Untersuchung und Erörterung von Fragen von allen akzeptiert wird.

Der von Bundeskanzler Schröder eingesetzte Ethikrat erfüllt diese Bedingungen nur teilweise. Das ist bedauerlich, aber vermutlich nicht irreparabel. Frankreich hat schon seit längerem eine ähnliche Institution. In Großbritannien hat ein Ausschuss des House of Lords jedenfalls für die Stammzellenforschung die Aufgabe übernommen. Als Mitglied dieses Ausschusses bin ich gewiss Partei; doch zeigt sich hier ein ernanntes Parlament mit vielfältiger Expertise von seiner besten Seite. Wahrscheinlich müssen wir noch etwas experimentieren bevor wir eine befriedigende Lösung finden; aber so viel bleibt richtig, dass die klassischen Institutionen von Demokratie und Rechtsstaat bei komplexen Entscheidungen von großer ethischer Tragweite nicht zureichen.

Dr. Dietrich V. Wilke  per E-Mail am 21.06.2001

Gesellschaft am Scheideweg: Die Instrumentalisierung menschlichen Lebens durch die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft - DFG - zurStammzellenforschung


Empfehlungen fordern eine sorgsame Prüfung besonders dann heraus, wenn sie
schon qua Absender den Eindruck erwecken, mit dem hehren Anspruch
wissenschaftlicher Güte erarbeitet worden zu sein.

Die DFG hat als einflussreicher Repräsentant der deutschen Wissenschaft für
deren Forschungsethik die Postulate des 'Lege artis' und des gehörigen
Selbstzweifels kodifiziert. So erwartet man von ihr selbst deren Befolgung
umso mehr, wenn es um so etwas Fundamentales wie das Menschenbild geht, das
letztlich hinter allen ethischen Fragen an die Stammzellenforschung steht.

In ihren Empfehlungen spricht sich die DFG für die verbrauchende Forschung
an importierten Stammzellen sowie die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus
'überzähligen', 'totgeweihten' Embryonen aus. Sie knüpft große Hoffnungen an
die Stammzellenforschung insbesondere zur Heilung bisher unheilbarer
Krankheiten. Neben einer Reihe vager therapeutischer und überzogener
Erwartungen, vor denen neben anderen international renommierten
Biowissenschaftlern der DFG-Präsident selber warnt, ist in einer mehr und
mehr utilitaristisch orientierten Erfolgs- und Leistungsgesellschaft, die
danach trachtet, sich im 'Menschenmachen' einen neuen lukrativen
Zukunftsmarkt zu erschließen, ein großes Missbrauchs-Potential
gentherapeutischer Eingriffe zu erahnen, für das auch die embryonale
Stammzellenforschung als Türöffner genutzt werden kann.

Die DFG hebt in ihren Begründungen - den Diskurs ethischer Fragestellungen
in ein Hintergrund-Kapitel stellend - ausschließlich auf die existierende
positive Rechtslage in Deutschland ab, in der durch das
Embryonenschutzgesetz der Import pluripotenter Stammzellen - also der
Zellen, die für die Züchtung bestimmter Organgewebe erforderlich sind -
nicht geregelt ist. Von blindem Forschungsinteresse geleitet, unterläßt sie
es, nach dem potentiellen Willen des Gesetzgebers zu fragen, hätte er den
heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand gehabt, und kommt zu dem Schluß,
dass der Import pluripotenter Stammzellen unter bestimmten Bedingungen aus
dem Ausland rechtlich auch dann erlaubt sei, wenn dadurch Embryonen
außerhalb des deutschen Rechtsraumes vernichtet werden. Indem sie die
Forschung an den so entnommenen Stammzellen empfiehlt, gibt die DFG der
Vernichtung menschlichen Lebens für Forschungszwecke ex post ihr
wissenschaftsethisches Plazet.

Der Gesetzgeber hat sich im Embryonenschutzgesetz von 1990 mit den sog.
'überzähligen' bzw. 'totgeweihten' Embryonen, nicht befasst, die bei der
künstlichen Befruchtung dann anfallen, wenn das betreffende Paar seine
Reimplantation in die Gebärmutter nicht mehr will oder sie durch den
zwischenzeitlichen Tod bzw. eine Erkrankung der Mutter nicht mehr möglich
oder mit einem Risiko behaftet ist. Die dadurch entstandene Rechtslücke ist
um so bedauerlicher, als dass der Gesetzgeber diese potentielle Konfliktlage
trotz der Auflage, dass nur so viele Embryonen 'hergestellt' werden dürfen,
wie unmittelbar zur Implantation kommen, hätte bei Verabschiedung des
Gesetzes erkennen können. Der Bundestag hat mit seiner Zustimmung zu dieser
Lücke der Medizin und der Gesellschaft ein ethisch schwerwiegendes Dilemma
überantwortet, für das aus Anlass der Stammzellenforschung nun eine mit dem
Grundgesetz zu vereinbarende Lösung gefunden werden muss.

Dieses rechtliche Vakuum versucht nun die DFG-Stellungnahme zu nutzen, um
der Stammzellenforschung ein menschliches Forschungsreservoir zu eröffnen,
indem sie für diese Embryonen, die offiziell auf 150 geschätzt werden, den
verfassungsmäßigen Rechtsanspruch auf Achtung der Menschenwürde in Frage
stellt, weil ihnen keine Lebenszukunft gegeben sei. Man kann nach allen
Erfahrungen medizinischer Praxis von einer vielfach höheren Dunkelziffer
ausgehen, wenngleich die Quantität für den prinzipiellen ethischen Diskurs
ohne Belang ist.

Recht ist eine zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Region
kodifizierte Ethik oder - wie es auch genannt wird - 'geronnene' Ethik.
Ethik läßt sich im Unterschied zu Gesetzen und Rechtsprechung nicht von
nationaler Grenzziehung aufhalten, wie es die DFG in ihrer Stellungnahme für
die deutsche Forschung reklamiert. Bundespräsident Rau hat in seiner Rede
vom 18. 5. 2001 festgestellt, dass es in fundamentalen ethischen Fragen
"keine Geografie des Erlaubten oder des Unerlaubten" gibt. Die DFG aber
rechtfertigt den Verbrauch von embryonalen Stammzellen aus dem Respekt vor
den abweichenden Rechtslagen anderer Länder, die "nicht per se anstößig
sind"  und leitet daraus ab, dass "Handlungen im Ausland, abgesehen von
jenen Fällen weltweit geächteten Unrechts, an den jeweils dort geltenden
Rechtsvorstellungen zu messen" seien. Konkret: Es geht um den Respekt vor
den Rechtssystemen der USA, Israels, Russlands, Englands und ..., die es
zulassen, dass Embryonen für die Forschung vernichtet werden.

Da die Bedingung der DFG, den Import von embryonalen Stammzellen auf
'überzählige' Embryonen zu beschränken, in der Praxis nicht kontrollierbar
ist, muss davon ausgegangen werden, dass auch speziell für den
Forschungsverbrauch 'hergestellte' Embryonen verwendet werden. Von dem
prinzipiellen DFG-Postulat, ausländisches Recht zu respektieren, wird von
ihr 'weltweit geächtetes Unrecht' ausgenommen. Wer aber entscheidet darüber,
was 'weltweit geächtetes Unrecht' ist? Der DFG-Senat etwa? Dann muss er sich
fragen lassen, warum das, was die katholische Kirche mit ihrer eine
Milliarde Mitgliedern weltweit als Unrecht ächtet, wie zum Beispiel die
Preisgabe des Schutzes ungeborenen Lebens, nicht darunter zu fassen ist.

Die DFG gibt an dieser Stelle jede ethische Argumentation auf, um über eine
Lücke in der deutschen Rechtslage den Zielen der embryonlaen
Stammzellenforschung zur Realisierung zu verhelfen und ist sich nicht zu
schade, dafür rechtliche Schlupflöcher auszunutzen, statt sich aus der Enge
der 'geronnenen' Vorschriften in die diskursive Weite wissenschaftsethischer
Verantwortung zu begeben. Selbst rechtlich ist die DFG-Empfehlung,
Stammzellen zu importieren, über einen Analogieschluss aus den aufgeführten
Tatbeständen, die dem Schutz des Embryos zuwiderlaufen, zu beanstanden,
wissenschaftsethisch erscheint sie unverantwortlich.

Für den DFG-Präsidenten Prof. Winnacker, der noch vor einem Jahr die
Auffassung vertreten hat, dass man einen potentiellen Menschen nicht für die
Produktion von Stammzellen opfern und damit zur Sache degradieren dürfe, ist
der eigentliche ethische Dammbruch durch bestimmte Verfahren der
Schwangerschaftsverhütung, die Abtreibungsrealität wie auch durch die Praxis
der künstlichen In vitro-Befruchtung, die 'überflüssige' Embryonen zur Folge
hat, sowie durch die selektierende Pränatal-Diagnostik in unserer
Gesellschaft längst Realität. Die embryonale Stammzellenforschung, die im
Dienste der Gesundheit erfolgen soll und nur jene Embryonen verwendet, denen
ohnehin eine Lebenszukunft verschlossen ist, hält die DFG-Stellungnahme
nicht nur für ethisch unbedenklich sondern gar für empfehlenswert. Es
entbehrt jeder rationalen Nachvollziehbarkeit, wie Forschungsfortschritte
dafür sorgen können sollen, dass menschliches Leben zu einer Sache bzw. -
wie es andere tun - zu einem 'Zellhaufen' degradiert wird. Im Übrigen ist es
argumentativ unzulässig, aus einer ethisch verwerflichen Prämisse eine
ethisch unbedenkliche Folge abzuleiten, ohne den Stellenwert der Prämisse
selbst ethisch abzuwägen.

In der Begründung für die 'verbrauchende Embryonenforschung' wird ihr
Beitrag zur Heilung Schwerstkranker angeführt. Jede ethisch unzweifelhaft
gebotene Hilfe für Schwerstkranke darf jedoch nie die fundamentalethische
Frage nach dem embryonalen Lebensrecht relativierend in den Hintergrund der
mit der Vernichtung avisierten therapeutischen Heilshoffnungen verdrängen.
Weil dieses Recht existentiell ist, hat es primäre unbedingte Bedeutung. Was
hier als wissenschaftlicher und ethischer Differenzierungsdiskurs erscheinen
soll, vernebelt diese schlichte fundamentale Sicht auf das menschliche Leben
und sein unantastbares Recht auf die Unverletzlichkeit seiner Würde, wie es
in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz die abendländisch-christliche
Wertekultur gebietet. Denn diese Wertekultur kennt keine Heilung auf Kosten
des Lebensrechts unschuldiger Dritter.

Um ihre Intention auch begrifflich zu stützen, nutzt die DFG-Stellungnahme
bedauerliche sprachliche Verharmlosungen, wenn sie beispielsweise formuliert
"Bei lebenden Embryonen führt diese [Zell-] Entnahme nach gegenwärtigem
Stand notwendigerweise dazu, dass der betreffende Embryo abstirbt..."
Gliedmaßen und Pflanzen sterben ab, Menschen sterben. Embryonen werden
sprachlich zu Körperteil- bzw. Pflanzen ähnlichen Objekten herabgestuft, um
heranwachsendem Leben so auf subtile Weise für die anschließende Abwägung
mit dem Rechtsgut der Forschungsfreiheit einen niedrigeren ethischen Status
zuzuweisen. Ihre 'Güter'-Abwägung zwischen dem "Lebensschutz des Embryos"
auf der einen Seite und dem "hochrangigen" Ziel der Forschungsfreiheit auf
der anderen Seite erscheint anmaßend, da sie das fundamentale menschliche
Existenzrecht auf eine Stufe ethischer Vergleichbarkeit mit einem
Berufsethos herunterstuft.

Wenn man sich schon auf die Ebene 'geronnener' Verfassungsethik begeben
will, so spricht selbst die eine eindeutige Sprache zur Rangfolge der
abzuwägenden 'Rechtsgüter': Im Grundgesetz steht die Achtung der
Menschenwürde, die das Existenzrecht umfasst, in Artikel 1, und das 'Recht
auf Leben und körperliche Unversehrtheit' in Artikel 2,  danach erst folgt
drei Artikel später in Artikel 5 Abs. 3 das Gebot der Forschungsfreiheit.
Diese eindeutig vom Gesetzgeber vorgegebene Rangfolge bemüht sich nun die
DFG argumentativ umzukehren, um wissenschaftliche und ökonomische Interessen
auf Kosten Dritter durchzusetzen. Der derzeitige verfassungsrechtliche
Schlingerkurs des Embryonenschutzes wird dabei als Argumentationshilfe zu
einem Abstecher in die Forschungslandschaft genutzt. Hier missachtet die DFG
auf das Gröbste den von ihr selbst aufgestellten wissenschaftsethischen
Imperativ des 'Lege artis'.

Die medizinischen Experimente an KZ-Insassen hatten im Nationalsozialismus
das Ziel, dem Fortschritt der Gesundheitsforschung zu dienen. Eine 'prima
vice' unter dem ausschließlichen Aspekt der Forschungsförderung überzeugende
Intention, die jedoch dazu führte, dass Menschen mit 'niederrangigem
Lebensrecht' für die Forschung instrumentalisiert und geopfert worden sind.
Medizinethischen Bedenken hatte ein skrupelloser politischer Totalitarismus
damals den Boden entzogen. An dieser Stelle bekommt der ethische Kursschwenk
der DFG eine brisante Note: An der rückhaltlosen Analyse der Verwicklungen
der DFG in die von nationalsozialistischer Ideologie beeinflußte Menschen
instrumentalisierende Forschung während der dreißiger und vierziger Jahre
wird derzeit gearbeitet. Dass diese DFG nun nach 70 Jahren - also eine
Generation später - ohne sich in den Ergebnissen der noch ausstehenden
Untersuchung gespiegelt zu haben, mit dem Ziel des medizinischen
Fortschritts eine Forschung ansteuert, die - medizinethische Bedenken erneut
außer Acht lassend - embryonales menschliches Leben für behauptete
"hochrangige" Forschungsziele instrumentalisieren will, kann nur blankes
Entsetzen auslösen. Vielleicht ist diese Haltung zugleich bitterer Ausdruck
dafür, dass eine Generation schon ausreicht für den ethischen
Gedächtnisverlust einer Gesellschaft, die allen Anspruch darauf hat, vor der
Skrupellosigkeit eines sich anbahnenden neuen Totalitarismus
wissenschaftlicher Provenienz geschützt zu werden.

Winnacker und sein Präsidium hätten eine große Chance gehabt, aus Anlass der
wissenschaftsethischen Reflexion der Embryonenforschung statt dem - richtig
konstatierten - ethischen Dammbruch in der Embryonenbehandlung einen
weiteren hinzuzufügen, an seiner Reparatur mitzuwirken, indem sie darauf
hingewirkt hätten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Forschungsförderung die
Praxis der künstlichen Befruchtung dahingehend zu beeinflussen, dass es in
Zukunft keine 'überzähligen' bzw. 'überflüssigen' Embryonen mehr gibt, die
sie in ihren Empfehlungen als Materialreservoir für die Forschung
beanspruchen.

Dass die DFG die Abtreibungspraxis ohne Umschweife als ethischen 'Dammbruch'
charakterisiert hat, ist unzweifelhaft ihr rhetorisches Verdienst,
wenngleich sie dieses - auch verfassungsrechtliche - Debakel nur zur
Unterstützung der eigenen Argumentationslinie einsetzt. Die Ableitung der
ethischen Unbedenklichkeit der eigenen Interessen aus vorangegangenen
Fehlern anderer, hat jedoch eine fatale Konsequenz: Jeder weitere Dammbruch
lässt den Ethik überschwemmenden Flutungspegel in unserer Gesellschaft
weiter ansteigen und ist - um es mit den Worten des Bundespräsidenten zu
sagen - Ausdruck 'ethischer Kapitulation'.

Prof. Winnacker scheint zu spüren, dass seine zunächst ablehnende Haltung
zur Embryonenforschung mit der Installation und Besetzung eines Ethikrates
durch den Bundeskanzler in Zukunft kaum noch eine Chance haben wird. Hinter
der wissenschaftsethischen Kehrtwende der DFG stehen offensichtlich neben
therapeutischen auch ökonomische und arbeitsmarktpolitische Intentionen.
Ohne Frage geht es um einen lukrativen biomedizinischen Markt mit einem
großen Potenzial zukunftsträchtiger Arbeitsplätze. Da der Arbeitsmarkt kurz-
und mittelfristig hohe politische Priorität genießt, deren Maßnahmen im
Gegensatz zur Ethik statistisch evaluierbar sind, besteht die berechtigte
Sorge, dass diesem Handlungsziel die weniger fassbare und nicht in
Legislaturperioden evaluierbare politische Ethik nur als nachrangige
Arabeske an die Seite gestellt werden soll. Die Zusammensetzung des
nationalen Ethikrates, die jetzt schon deutliche Mehrheits-Voten für die
Stammzellenforschung und für die PID erwarten lässt, kann als empirischer
Beleg für diese Vermutung gelten.

Die Empfehlungen der DFG zeigen einmal mehr, dass wissenschaftliche
Reputation und ethische Gesinnung - wie es schon Einstein, Max Planck und
andere Naturwissenschaftler klar gesehen haben - zwei verschiedene Dinge
sind. Sie werden in der aktuellen Debatte um die Embryonenforschung von der
DFG gekreuzt, um die substantielle Aufgabe ethischer Verantwortlichkeit
hinter einschränkenden Bedingungen, engen Grenzziehungen und Vorbehalten
verbal zu verbergen. Damit soll der Eindruck weitreichender Berücksichtigung
ethischer Kriterien erweckt werden. Im Kern aber befremdet diese
Relativierung des embryonal-menschlichen Lebensrechts, weil ein Gremium von
wissenschaftlicher Autorität in einem eklektischen Schlingerkurs zwischen
Rechtsprechung, Verfassung und Ethik das unbedingte Existenzrecht völlig
hilfloser Embryonen zur wissenschaftlichen Disposition empfiehlt und die
negativen Auswirkungen ihrer Instrumentalisierung auf das menschliche Leben
eine Gesellschaft in ihrem Selbstbild abgrundtief herausfordern. Hier wird -
unter beschwichtigenden Hinweisen auf ausländische Beispiele und
vorangegangene Fehlentscheidungen - für unsere Wertekultur ein Menschenbild
eingeläutet, das sich vom abendländisch-christlichen weit entfernt, weil es
die Heilungsabsicht auf Kosten des Lebensrechts unschuldiger Dritter
anstrebt, die - anders als bei der Organspende - nicht einmal die Fähigkeit
besitzen, dazu ihre Zustimmung zu verweigern und deswegen besonderes
staatlichen, rechtlichen und gesellschaftlichen Schutzes bedürfen. Die darin
liegende gesamtgesellschaftliche Brisanz der Instrumentalisierung
menschlichen Lebens wird der Öffentlichkeit langsam bewusst und - so ist zu
hoffen - nicht ohne Resonanz und Konsequenzen bleiben. Wo sich die
Gesellschaft in ihrem Nerv getroffen sieht, haben sich Wissenschaft und
Forschung ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in ganz besonderer
Weise zu stellen.

Aber die DFG teilt uns mit ihren Empfehlungen  zur Stammzellenforschung
auch - wenngleich unbeabsichtigt - ein indirektes Indiz ihres eigenen
Selbstzweifels mit, dass Anlass zur Hoffnung gibt: Ihre Stellungnahme ist im
Senat einstimmig verabschiedet worden. Dieser Konsens soll nach außen den
Eindruck einer geschlossenen, zweifelsfreien wissenschaftsethischen
Überzeugung dokumentieren, doch hat uns Politik immer schon gezeigt, dass
Einstimmigkeit als Ausdruck eines selbstbestärkenden gegenseitigen
Haltgebens letztlich Verunsicherung offenbart.

Die gesellschaftliche Reaktion sollte - unter Berücksichtigung des Ausmaßes
der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Realität der pränatalen
Selektions-Diagnostik und der aktiven Sterbehilfe sowie in Anbetracht
würdeloser Diskussionsbeiträge über die embryonale Menschenwürde - in einen
Aufstand des Gewissens gegen diesen Wahn einer neuen Hybris münden, in der
sich der Mensch zum Herrn über Leben und Tod erhebt. Nach dem Philosophen
Robert Spaemann gibt sie Anlass zu schlimmen Befürchtungen...für das Leben
Tausender von Menschen."

Fragen und Kommentare an Michael Seeger  © 2000-2013 Faust-Gymnasium Staufen,  letztes update 18.09. 2013